Blogthema im November 2017

3. Teil des Interviews mit Wolfgang Hothum

"Wir lassen uns fürs Beschimpfen bezahlen"

Wolfgang Hothum gilt als Spezialist für Plakatwerbung. Mit seinem Institut für Kommunikations-Analyse und -Optimierung (IKAO) und der von ihm entwickelten Dialog-Struktur-Messung (DSM) hat der einstige Creative Manager in den letzten sieben Jahren rund 10.000 Analysen von Kampagnen, Spots und Anzeigen vorgenommen.

Ist Plakat trotz der Zuwachsraten das kreativ am ehesten vernachlässigte Medium?
Auf jeden Fall, und das hängt mit der Denkhaltung vieler Kreativer zusammen, für die die Produktion eines Spots das Schönste ist. Selbst Anzeigen haben einen höheren Stellenwert, und mit Plakat als eigenständigem Medium setzen sich viele zu wenig auseinander. Das ist aber auch ein Punkt, der an den Akademien zu kurz kommt. Da wird auch zu wenig Wert darauf gelegt, den Studierenden den Medienbereich Plakat als etwas Eigenständiges ans Herz zu legen. Hier wird oft gedacht: „Da haben wir doch die Anzeige, die können wir einfach hochziehen, dann wird ein wenig hier und da gedrückt, dann passt die schon ins CLP oder Billboard.“ Wir predigen immer: Vergesst das, geht vollkommen eigenständig an das Medium heran und entwickelt eine Idee konkret für dieses Format und vor dem Hintergrund des Wissens, für wen es gemacht ist.

Was müssen Sie bei Ihren Kunden in der Gestaltung immer wieder beanstanden?
Die schlechte Erkennbarkeit der Marke und des Produkts ziehen sich bei 50-70 Prozent der Motive durch. In rund 70 Prozent aller Fälle sind zu viele Elemente in nicht guter Balance vorhanden, da dominieren die falschen Dinge. Häufig ist zu viel Text im Spiel, der durch zu kleine Schriftgrößen auch noch schlecht lesbar ist. Bei Plakat kommt zudem oft mangelhafter Kontrast dazu, wenn zu viele Elemente Ton in Ton gestaltet sind. Das Wichtige wird zu selten gehighlightet und kontrastreich dargestellt. Das passiert immer wieder.

Wie kommunizieren Sie mit Ihren Kunden, um denen nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen?
Wir lassen uns sozusagen fürs Beschimpfen bezahlen und halten da nicht hinterm Berg. Wir haben den Vorteil, dass wir niemanden mit Lob überschütten müssen, sondern wir kritisieren dadurch, dass das System die Grundergebnisse liefert. Im Rahmen unserer Empfehlungen sagen wir, worin sich das vorliegende Konzept noch verbessern lässt. Diese Empfehlungen sind sehr konkret, wenn wir z.B. empfehlen, das Logo oder den Packshot um 10-15 Prozent zu vergrößern oder an eine andere Stelle zu schieben. In der Regel sehen die Agenturen nach der Umsetzung auch, dass das wirkt.  So müssen wir niemandem schön nach dem Mund reden, um Etats zu retten.

Wieso werden bei den vielen neuen Chancen der DOOH direkt wieder die gleichen Fehler gemacht?
Wer das traditionelle Plakat nicht beherrscht, der kann auch nicht Digital. Viele Kreative verlieren sich in den neuen Möglichkeiten, Effekte zu setzen. Teilweise geht das in ein Lichtgewitter über, das der Mensch gar nicht verarbeiten kann. Auch hier muss ich mich mit menschlicher Wahrnehmung auseinandersetzen und wissen, wie viele einzelne Elemente wir überhaupt verarbeiten können. Dafür muss man als Gestalter Sinneinheiten bilden und fokussieren können. Nur derjenige, der wie bei Plakat weiß, was die Fläche kann, der bringt die Voraussetzung mit, einen 10-Sekünder auf eine Außenfläche in digital zu bringen.

Was muss hier genau beachtet werden?
In drei „Realitätsfenstern“ zwischen je 3 und 4 Sekunden Länge muss eine abgeschlossene Information untergebracht sein – dafür muss man wissen, wie viel „Bewegung“ so ein einzelnes Fenster aushält. Bei DOOH muss noch stärker berücksichtigt werden, in welcher Rezeptionssituation der Spot daher kommt und auf die Zielgruppe wirkt. Reden wir hier über die Verweildauer, werden die Augen der Verantwortlichen groß, und niemand weiß das zu unterscheiden. Marken müssen hier viel mehr daran denken, dass ein Spot alleine nichts bringt, sondern Orte und Situationen unterschieden werden muss. Das ist auch das Tolle an „Digital“, dass man hier so schön zwischen Standorten und Zeiten je nach Produkt und Angebot unterscheiden kann. Diese Möglichkeiten müssen gescheit genutzt werden, und das sehe ich im Moment noch bei weitem nicht. Da müssen sich alle noch etwas „strecken“.

Zurück zum Plakat: Verraten Sie uns zum Schluss noch, welcher Flop dennoch geklebt wurde? Natürlich ohne eine Marke zu nennen ...
Ich erinnere mich an ein wunderbares Motiv mit einem sehr teuren Shooting mit einem sehr prominenten Top-Model. Es ging dabei um die Einführung einer Biersorte - mit der Zielgruppe Frauen. Und dann wurde dieses Model wie eine Beute in Posen abgebildet, mit denen fast nur Männer angesprochen wurden. Auch auf der Textebene ist das total daneben und komplett an der ZG vorbei gegangen. Wir konnten schnell erklären, warum  das so war: ein knapper, weißer Bikini an einer Schönheit auf einem Motorboot ist nicht zwingend ein optisches Signal, das bei Frauen funktioniert – erst recht nicht mit einer zweideutigen Headline. Das hätte eigentlich schon intern bei einer Diskussion scheitern müssen. Es ist schon ein Phänomen, dass auch eindeutig an der Zielgruppe vorbei schießende Motive sogar prämiert werden oder zur Klebung kommen. Manchmal ist eine saubere und einfache Idee einfach die bessere Möglichkeit.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hothum!

 

Zur Website des IKAO

Das Erklärvideo zur Dialog-Struktur-Messung des IKAO

Wolfgang Hothum: "Im Prinzip lassen wir uns fürs Beschimpfen bezahlen"

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