Wie kommt die Botschaft eigentlich an die Wand?
Kleister drauf, Plakat dran? Es gehört schon etwas mehr dazu, eine Großfläche zu bewirtschaften. Unser Blog-Reporter hat für die PLAKATUNION hinter die Kulissen geschaut.
Stephan Ehrig ist seit 25 Jahren in diesem Job tätig: Schon zu Studienzeiten rührt der Unternehmer Kleister an, füllt ihn ab, trägt die klebrige Masse mit dem Besen auf, reiht vier Bögen an den Passkreuzen sauber aneinander, streicht noch einmal drüber – und fertig ist die 18/1 Plakatwand, der Klassiker unter den zahlreichen Außenwerbeformen. Im Grunde funktioniert das Anbringen des Affichenpapiers auf den Holzwänden wie Tapezieren – und ist kein Hexenwerk. Und doch gehört so viel mehr dazu, vor allem wenn man aus dem Nebenjob ein ganzes Unternehmen aufbaut und mittlerweile 70 Mitarbeiter beschäftigt.
Vom studierten Biologen zum Plakatkleber
Ehrigs einstiger Nebenjob als Biologie-Student war das Nassklebegeschäft. Rund fünf Jahre lang verdient er sein Zubrot mit dem Anbringen von Plakaten. Zum Ende seiner Uni-Laufbahn sind die Aussichten für Biologen plötzlich nur noch wenig berauschend. Da erhält Ehrig einen Anruf, er soll eine weitere Tour mit 300 Tafeln übernehmen. Von da an ging es für ihn richtig los: Ehrig arbeitet auch an Wochenenden und Feiertagen, während andere am Baggerloch relaxen. So wächst er mit seinen Aufgaben und kann den Flächenbestand stetig vergrößern. 1996 sind es schon rund 1000 Stellen. Mittlerweile arbeiten knapp zehn Assistenten, Büroleiter und Sachbearbeiter mit ihm, um den ganzen Apparat auch zu steuern. „On the road“ sind für »Aussenwerbung Ehrig« zehn Steigerfahrer, rund 25 weitere Nasskleber und etwa 20 Leute, die sich um die Premium-Träger kümmern. Von der PLAKATUNION betreut das Unternehmen etwa 300 Stellen im Kölner Umland, die per Leiter zu erreichen sind, und etwa 500-600 weitere Wände mit dem Hubsteiger.
Auch der Service gehört zum Geschäft: Wo ein Rahmen locker ist und sonstige kleine Reparaturen anstehen, sind Ehrigs Leute zur Stelle. „Nach einem heftigen Sturm war auch mal eine Tafel umgekippt, wo wir dann erst mal nicht tätig werden konnten, aber das ist ganz selten“, verrät der 53-Jährige. „Die schlimmste Geschichte liegt 20 Jahre zurück, als ich bei tiefen Minusgraden aus den Weihnachtsferien zurückkehrte. Damals hatten wir die anstehende Tour Plakate vorher eingeweicht, und die lagen plötzlich zu riesigen Klumpen gefroren in den Regalen. Die mussten wir dann auf den Tisch hauen, damit die Eiskristalle platzen und die Bögen wieder beweglich wurden. Und da die Rohre auch gefroren waren, mussten wir das Wasser für den Kleister unter den dicken Eisschichten in den Wannen rausklopfen, und haben darin die Plakate dann mit Frostschutz neu eingeweicht. Das war eine Horrorsituation, als ich morgens um 7 ins Lager kam, aber trotzdem sind um 10 Uhr die ersten Jungs rausgefahren und konnten die Kampagne pünktlich kleben.“
200.000 Liter Kleister im Jahr
Was gefällt ihm eigentlich heute noch am meisten an dem Job? Arbeitet er einfach gerne an der frischen Luft? „Das auch,“ lacht Ehrig, „aber wirklich toll ist abends zu wissen, was man über den Tag gemacht hat. Danach schlafe ich wie ein Murmeltier. Mittlerweile verbringe ich ja weit mehr Zeit im Büro und fühle mich dann eher unausgeglichen.“ Hat der Herr der Plakatwerbung über die Jahre ein besonderes Auge für diese Form der Außenwerbung entwickelt? „Das Motiv interessiert mich im ersten Moment nicht so sehr,“ gibt Ehrig zu, „aber ich schaue – egal wo ich bin – immer mit ganz anderen Augen auf die Wände: Auch im Urlaub achte ich auf Rahmen, und wie das Plakat geklebt ist.Man hat so einen gezielten Blick auf ein kleines Segment des Plakats, nämlich die Schnittkanten. Oft fahre ich abends heim und sehe dann erst das ganze Motiv, das ich am Tag 40 Mal geklebt habe.“
Ein etwa Ein-Zentimenter-großer Strich, an dem der jeweils nächste Bogen angesetzt wird, steht also im Mittelpunkt des Handwerkberufs. Doch nur viele einzelne Arbeitsschritte führen in der Summe zum Ergebnis. Auf einem großen Hinterhof am Kölner Maarweg kommen die Kleber an, zu allen Tageszeiten bereiten sie hier ihre Touren vor, auch mal mitten in der Nacht. Dann betätigen sie zunächst das Kleisterrührwerk und zapfen den Klebstoff ab. Massenweise lagern hier Säcke von Trockenpulver – aus 20 Kilogramm werden rund 400 Liter Kleister. Pro Großfläche gehen 1-1,5 Liter drauf, bei 6000 Plakaten pro Dekade, die gut 30 mal im Jahr bestückt werden, verstreicht das Unternehmen weit über 200.000 Liter im Jahr, was wiederum über 500 Säcke und damit mehr als 10.000 Kilo Pulver ausmacht.
Farbenfrohe Werbung nach Nassdehnung
Ist die benötigte Menge Kleister abgezapft, sucht der Kleber anhand einer Liste seine vorsortierte Tour an Plakaten aus dem Regal heraus. In der entsprechenden Reihenfolge sind auf dem Ausdruck auch die Standorte gelistet, die nacheinander angefahren werden müssen. So kann nichts durcheinander geraten. „Wir trennen die Motive von den Paletten aus der Druckerei vorher auf, damit die Reihenfolge stimmt, bei anderen Unternehmen müssen die Kleber sich das noch selbst sortieren“, erklärt Ehrig. Dann kommt der ganze Packen zum Einweichen in eine Wässerungswanne. Dadurch lassen sich die Falzkanten glätten und später der Kleister besser auf das triefnasse Papier auftragen. Dabei beschwert Ehrig das reißfeste Material mit Steinen, damit es untergetaucht bleibt. „Im Grunde könnten die Bögen da tagelang drin liegen – sind aber auch nach 20-30 Minuten fertig. In der Zeit gibt’s noch einen Kaffee, oder der Kleber spricht mit dem Bereichsleiter ab, ob noch ein Handy oder anderes Material erneuert werden muss.“
Dann belädt Stephan Ehrig sein Auto mit Leiter, vollem Kanister, Eimer, Besen und Papier, und ab geht’s zur Tafel. 40-50 Stellen pro Tag stehen auf dem Plan, je nachdem wie dicht die Wände stehen. Nach der Ankunft am ersten Standort geht alles sehr schnell: Leiter raus und aufstellen, Kleister vom Kanister in den Eimer füllen, ein paar der Reste des vorherigen Motivs ablösen, damit keine Unebenheiten entstehen. Nun kleistert Ehrig das erste Viertel der insgesamt knapp 9 Quadratmeter Fläche vor, setzt den ersten Bogen an, klappt ihn auf, wischt drüber, sitzt. So reiht er die vier Bögen sauber aneinander und schon strahlt das neue Motiv für eine Dekade über den Parkplatz vom Kölner Handelshof. Weiße Seitenstreifen lassen die Arbeit zusätzlich sehr sauber aussehen – perfekt! 356 x 252 Zentimeter farbenfrohe Werbung nach Nassdehnung. Stephan Ehrig hakt die Liste ab, macht ein Foto, lädt sein Fahrzeug wieder und saust los zur nächsten Tafel.
Auf auf, der Steiger kommt!
Ivan Chaklidi bedient derweil den Joystick am Hubsteiger. Der Ehrig-Mitarbeiter für Hochstellen ist heute auf der rechten Rheinseite unterwegs und bewegt seine kleine Arbeitsplattform von drei Quadratmetern gerade an der Kölner Straße Richtung Hauswand, als wir ihn gut gelaunt treffen. Der Frühling schickt erste Sonnenstrahlen in die Straßen der Großstadt und macht den Kleberjob etwas erträglicher als in den letzten recht harten Winterwochen. Was aussieht wie ein Spiel mit der Fernbedienung, erfordert durchaus Präzision. Chaklidi macht das sehr elegant und gekonnt, weiß exakt, an welche Stelle er sich fahren muss, um ideal an die 18/1-Fläche heranzukommen.
„Ab etwa zwei Grad unter Null lässt es sich gut kleben“, erzählt der Familienvater. „Darunter frieren die Plakate sehr schnell und ich kann auch nicht mit Handschuhen arbeiten, weil man das Gefühl in den Fingern braucht.“ Einmal mussten die Jungs bei minus 15° aufgeben, weil der Steigerwagen einfach nicht mehr funktionierte und manchmal ist natürlich auch Wind ein Problem. „Aber im Grunde ziehen wir unsere Arbeit immer durch, schließlich sind wir nicht im stürmischen Hamburg tätig“, lacht Ivan Chaklidi.
Seine nächsten Schritte laufen so ab wie bei Stephan Ehrig: vorkleistern, die vier Teile entfalten und genau ansetzen, nachwischen, fertig, passt. Er arbeitet dort oben in immerhin rund fünf Metern Höhe genau so, als hätte er festen Boden unter den Füßen, lehnt sich mitunter fürs Laienauge bedrohlich weit über die „Reling“ seiner Arbeitsbühne. Länger als Ehrig braucht er nicht pro Plakat, nur das Heranfahren erhöht seine Zeit-pro-Stelle-Bilanz. Etwa ein bis zwei Minuten braucht er, um den Kran zu justieren, und weitere zwei, um ihn wieder in die Ausgangsposition zu bringen. Dann macht auch er den Haken an der Liste, sein Handyfoto, steigt zurück auf den Fahrersitz und steuert die nächste Plakatwand an. Stunde um Stunde, Tag für Tag. Ein ständiger Erneuerer des Stadtbildes.
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